Edition Giz
Die edition giz wurde
2000 eingerichtet und besteht aus einer Reihe von
Arbeiten, die verlags-unabhängig 'on demand' (auf
Anfrage) ausgedruckt werden.
1. Horst von Gizycki Illuminationen
- nulla dies sine linea , Zeichnungen
und Aphorismen
(50 Seiten, Querformat 24x17 cm)
Auszüge
Nulla dies sine linea - über die Lust an
der Linie
Wenn ich mit meinem Meditationsbesteck aus
Stiften, Federn und Pinseln zu zeichnen beginne
oder auf dem Cembalo improvisiere, dann lassen
sich Klänge und andere Ausdrucksgebilde entdecken,
die meinen jeweiligen Stimmungen und meiner
inneren Verfassung im ganzen entsprechen. Diese
Gebilde, ein trompetenhelles Kandinski-Gelb, ein
erotisierendes Hokusai-Linienbündel, ein
manieristisches Carmina-Burana-Motiv - sie
besitzen gestalthaften Charakter mit der für mich
reizvollsten Haupteigen-
schaft: transponierbar zu sein. So kann die
Gestalt von Kunderas unverwechselbarer
Abschiedsgeste in den Armbewegungen sehr
verschiedener Frauen zu Fleisch werden oder Lewis
Carrolls 'grin of the cat' kann sich loslösen vom
Körper der Katze, die das Lächeln in ihrem Gesicht
trug. Die leibhaftige Katze verschwindet, das
Lächeln aber bleibt: seine geheimnisvolle Gestalt
materialisiert sich im Gez-
weig eines blühenden Buschs. Peter Handkes Linie
von Anmut und Schönheit verkörpert sich auf einer
Malerpalette oder auf dem Rist eines Stiefels in
Split: sie lässt sich transponieren.
Meine Miniaturen: graphische Aphorismen eines
pikturalen Nominalismus (das Zeichen und seine
möglichen Bedeutungen emanzipieren sich
voneinander). Außerdem eine Vorliebe für Fragment-
arisches, für die Absage an das große Ganze, an
'Werke'.
Das kleine goldene Tintenlöffelchen, den zarten
Längsspalt mitten durch die Spitze geschnitten,
eingeschraubt in die farbig gefüllte Pipette,
deren Kappe sich umstecken lässt und die Feder vor
dem Austrocknen schützt. Und dann das
Schraffieren: eine meditative Verrichtung wie das
Abschreiben der Mönche in den Klosterbibliotheken
des Mittelalters, eine gleichförmige winzige
Tanzbewegung der Finger, eine Art Ostinato der
Hand, rhythmisch gegliedert und
konzentrationsfördernd.
Beim Ausblenden der Weltgeräusche entsteht
aufmerksame Leere...
Der dynamische Kleinkosmos der Skizzen hat das
unbedingte Prae. Wird aber nicht in einer solchen
poetischen Kalokratie der Zeichner zum Untertanen
des Herrschaftssystems seiner Bilder ? Das Stück
Magie, das in solchen Rollenzuweisungen steckt
(und für das der Surrealismus ein besonderes
Faible besaß), mag sein Wahres haben: kein
Künstler verfügt vollständig über die von ihm
inszenierten äs-
thetischen Ereignisse, und wo er sich das
einbildet, wirken seine Arbeiten sofort
konstruiert, mech-
anisch, gewollt und kunstbürokratisch, nicht
wirklich lebendig. Zur Lebendigkeit gehört immer
ein
Hauch von Irrsinn, von Unberechenbarkeit,
Geheimnis, Vieldeutigkeit und Eulenspiegelei.
Ein gelassener Regie-Wille ist hier am Werk, der
offen bleibt für Überraschungen, auch wenn er
die Ökonomie des Gestaltganzen flexibel im Auge
behält, Zweck-Mittel-Überlegungen anstellt und
so-
zusagen Führungsdienste als Maitre de Plaisir
beim Kostümfest der Gestaltteile anbietet. Die
Logik dieser Führung funktioniert ähnlich wie
bei der humoristisch-tiefsinnigen Frage: 'woher
soll ich wissen, was ich meine, wenn ich noch
gar nicht gehört habe, was ich sage?' Das in den
Zeichnungen zur Welt Kommende ist also nicht
vollständig verfügbar, es behält seinen
Eigenwillen: Fremdes in mir selbst, zum Beispiel
Unbewusstes, ist mitbeteiligt. Wobei es hier
eine doppelte Fremdheit gibt: die meiner eigenen
Natur und diejenige der nicht zu mir gehörigen
Material-Natur.
2. Horst von
Gizycki Zur Farbenlehre des Eros, Ein
Essay über Stilformen der Liebe
(100 Seiten)
Auszüge
"Liebe ist es, welche die Sonne und
die anderen Sterne bewegt"(Dante)
...
Unsere Liebesfähigkeit ist ein
Energiepotential, das Freud nach alter
Tradition 'Eros' nannte. Dieses Grundfeuer in
unseren Herzen können wir als ein umfassendes
dynamisches Prinzip verstehen, das uns zum
Herstellen und Erhalten von Bindungen
befähigt.
Solche Bindungen und Neuverbindungen können so
weit reichen, daß derzeit getrennte
Teilbezirke unseres Daseins, zum Beispiel
religiöse, soziale, vitale oder politische
Lebensbereiche geschichtlich neu zueinander
finden – ähnlich wie die Regenbogenfarben, die
vereinigt weißes Licht ergeben, sich zu den
buntesten Farbmischungen vereinigen können...
...
Wir alle wissen im Grunde, daß es
diese 'Produktivkrafl' gibt: eine Energieform,
die uns befähigt, Diskriminierung, Ausschluß,
Apartheid, Trennung, ja: Entfremdung
aufzuheben. Wir können dieses Potential
'Negcntropie' nennen oder, nach älterer Sitte,
'Eros' oder auch einfach 'Liebe'. Es gibt hier
historisch begründete Benennungs-Probleme.
Hatte erst schon das Christentum nach
Nietzsches bösem Wort dem Eros Gift zu trinken
gegeben, so wurde spätestens im Materialismus
des 19. Jahr-
hunderts christliche Liebestheologie selbst
als Ideologie, als 'Opium des Volks'
abgeräumt. Zurück
blieb die kahle Platte einer seelenlos
zubereiteten Ökonomie, und zurück blieb die
Tischordnung als Herrschaftsproblem, also
Politik. Die Liebe war theoretisch und
praktisch weitgehend "aus dem Ver-
kehr gezogen". Was blieb, war eine von allen
guten Geistern verlassene Sexualität, deren
Befreiung allenfalls, etwa bei Marx, eine
politmessianische Hoffnung war, auf später
vertagt, wenn das Reich der (Gattungs-)
Freiheit erstritten sein würde...
...
Die Teilhabe an der
Liebeswirklichkeit, die für jeden von uns
erfahrbar ist, da wir ihr — wie undeutlich
auch immer vermittelt — unser eigenes Dasein
verdanken, liegt aller Eros-Geschichtlichkeit
zugrunde. Zwei Menschen müssen sich, wie immer
flüchtig, dumpf oder wach miteinander
verbunden haben; meine Mutter muß mit mir,
ihrem Kinde, verbunden gewesen sein, und
diejenigen, die mich in den frühesten
Lebenstagen betreut, umsorgt, nicht umgebracht
haben, müssen mir zugetan gewesen sein — sonst
wäre ich gar nicht am Leben. Um diese
Liebesgewißheit geht es: Ich bin, also hat es
auch in meinem Fall einmal Liebe auf der Welt
gegeben (sum ergo coitus fuerat)...
...
Auch die Endlichkeit und
Verweslichkeit: die Zeitunterworfenheit: aller
vitalen Prozesse wird zu einer Bedingung
höchster Erlebnisintensität. Gibt es eine
umstürzendere Erfahrung als die Einsicht, daß
unserem Dasein das sichere Ende mit auf den
Weg gegeben ist? Kein Gott in seiner Ewigkeit,
kein säureunempfindliches Material in seiner
stumpfsinnigen Dauerhaftigkeit besitzt dieses
ungeheure Können - um den Preis des Todes. Daß
ein Gott nicht sterben kann, wäre also eine
Einschränkung seiner Vollkommenheit: die
Erfahrung tiefster Verzweiflung wie auch das
ekstatische Erlebnis ihres Gegenzustands sind
ihm eben deswegen versperrt; sie gehören zum
Leben.
Keine Erotik also ohne das Bewußtsein der
Todesverfallenheit alles Lebendigen. Wer die
Leibhaftigkeit unseres Daseins und unserer
Liebe feiert, wird ihre intensivste
Leuchtkraft erst auf dem Hintergrund dieses
Endlichkeitsbewußtseins erfahren...
Überblick
Ich möchte
die sieben hier unterschiedenen Eros-Aspekte
noch einmal in Erinnerung rufen:
Theoretischer Aspekt: Dabei
geht es um Integration und Zusammenschau von
Erkenntnis als
Fremd- und Selbsterkenntnis; um dialogisches
Sinnverstehen.
Religiöser Aspekt: Hier liegt
das Erlebnis unserer Einheit mit dem Universum
zugrunde; wir
fühlen uns 'kosmisch' eins mit anderen.
Sozialer Aspekt: Hier
identifizieren wir uns brüderlich-schwesterlich
miteinander, fühlen uns
solidarisch und praktizieren Fraternität.
Ästhetischer Aspekt: Hier
erleben wir die Faszination, die wir füreinander
haben können, wenn
unsere Sinne ein Zwiegespräch führen.
Politischer Aspekt:
Herrschaftsfreie Beziehungen und gegenseitige
Achtung (im Gegensatz zu
Über- und Unterordnung oder Machtstreben)
begründen eine neue 'domistische' Friedenskultur
des praktischen Humanismus.
Ökonomischer Aspekt : Fürsorge,
gleichberechtigtes Teilen, gegenseitige Hilfe
und Schenken;
dialogische Selbstverwirklichung, im Gegensatz
zu Ausbeutung und Entfremdung.
Vitaler Aspekt: Hier geht es
um sexuelle Vereinigung, im weiteren Sinne aber
auch um Zuwendung
zur Natur in uns und außer uns, bis hin zu
ökologischen Aspekten.
Wie ich zu zeigen versucht habe, sind
verschiedenartige Ausprägungen und Verknüpfungen
von Eros-Aspekten möglich. Neuartige und
weitreichende Fusionen können hier geschichtlich
gelingen, wenn die Bedingungen dafür
in domistischen Sozialstrukturen und ihren
Vorformen geschaffen werden.
Inhaltsabschnitte:
|
|
Einleitung
Bosch oder die Anarchie
Eros
Entwurf einer erotischen Farbenlehre
Zum theoretischen Aspekt des Eros
Zum religiösen Aspekt des Eros
Zum sozialen Aspekt des Eros
Exkurs zur Fraternität |
Zum ästhetischen Aspekt des Eros
Von Bosch zu Beuys
Zum politischen Aspekt des Eros
Zum ökonomischen Aspekt des Eros
Zum vitalen Aspekt des Eros
Überblick |
3. In Vorbereitung
:
Hams
Arche
Eine bildnerisch-literarische
Neudeutung des selten beachteten Teilaspekts
im biblischen Sintflut-Mythos (1. Mose 6-9):
Noahs Sohn Ham , 'Kanaans Vater', wird wegen
angeblich obszöner Interessen von seinem
Erzeuger verflucht; 'Knechte' sollen Ham, alle
seine Kinder und Kindeskinder, also einige der
späteren farbigen Völker, fernerhin sein - so
dekretiert es herrisch der Archenbauer Noah in
seinem Sündenfall.
Die Zugabe - Eine prophetische
Erzählung oder: Ein dalmatinischer Reisebericht
Ein islamischer Mystiker des Mittelalters
erzählt, Gott habe nach der Erschaffung des
Menschen noch einen kleinen Klumpen Lehm übrig
gehabt. Was sollte mit diesem Rest geschehen ?
Der Mensch er-
hielt das Rohmaterial als Zugabe zur
eigenen Verwendung. So sei die Imagination in
die Welt gekom-
men, jenes plastische Vermögen, das den Menschen
in die Lage versetzt, das von Gott begonnene
Schöpfungswerk weiter- und umzuschaffen.
Kapitel-Überschriften :
Nächtliches Vorspiel -
Sonntag - Beim Capuccino - Ankunft in Dalmatien
- Ringsum Zikaden – Hokusai - Zwei Paar Schuhe -
Im Strandbad - Tafelfreuden international - Das
Buch Jutta – Gazellensprünge: Das Wetter in
Weimar – Rober Jungkvaters ultimatives Rezept
gegen Arbeitslosigkeit - Sonnenuntergang -
dilige, et quod vis fac (liebe und tu'
was Du willst) - "Tötet Joseph oder treibt ihn
in die Ferne" - In Hvar, brauschig und pausig -
Dagmars Studio – Unterwegs nach Palmizan - "...
so Dich ein Glied ärgert..." - 'Böcke zu
Gärtnern machen' – Jeder zu Füßen von jedem - .
Quadratur des Kreises
Annäherungen ans altneue Europa. Ein Essay
|